Früher wurde Parodontitis häufig als Folge von vernachlässigter Mundhygiene betrachtet. Das stimmt so nicht. Der entscheidende Faktor ist die individuelle Anfälligkeit für parodontale Probleme.

In der Mundhöhle sind Hunderte von Bakterienarten heimisch: nützliche, harmlose und potentiell schädliche. Primär durch Veranlagung, d.h. genetisch bedingt, oder durch Grunderkrankungen (z.B. Diabetes) oder auch durch äußere Einflüsse (z.B. starkes Rauchen, destruktiver Stress, lokale Reizfaktoren), kann das Gleichgewicht zwischen physiologischer Bakterienbesiedlung und Körperabwehr aus den Fugen geraten.

Potentiell parodontal schädliche Bakterien vermehren sich dann und besiedeln den Bereich zwischen Zahn und Zahnfleisch. Es bilden sich Zahnfleischtaschen. Die Körperabwehr registriert den bakteriellen Angriff, richtet aber letztlich nichts aus. Stattdessen führt die frustrierte Abwehrreaktion zu einer chronischen Entzündung, in deren Folge sich der Kieferknochen langsam abbaut, sich Zahnstein unterhalb des Zahnfleischs bildet und die Taschen immer tiefer werden.

Dies ist das „multifaktorielle Ursachenmodell der Parodontitis“. Im Detail gibt es neben den genannten primären Faktoren noch zahlreiche weitere mögliche Risikofaktoren oder begünstigende Umstände für parodontale Erkrankungen, die im Zuge der Behandlung abgeklärt werden müssen (z.B. Ernährung, Osteoporose, Medikamenteneinnahme, Zähneknirschen, …).

Multifaktorielles Ursachenmodell der Parodontitis

Multifaktorielles Ursachenmodell der Parodontitis (eigene Abbildung)

Parodontitis ist also eine chronische Erkrankung auf Grundlage eines bakteriell-entzündlichen Geschehens. Wie andere chronische Erkrankungen, z.B. Bluthochdruck oder Diabetes, bereitet Parodontitis lange Zeit nahezu keine Beschwerden und kann unbemerkt verlaufen. Unbehandelt mündet dies in Zahnlockerung und schließlich Zahnverlust. Auch Kieferknochen geht unwiederbringlich verloren und fehlt dann ggf. als Lager für Zahnersatz oder Implantate.

Die fortwährende Entzündung der Zahnhalteapparate kann sich ungünstig auf die allgemeine Gesundheit auswirken. So gibt es negative Wechselwirkungen zwischen Parodontitis und Diabetes. Zahlreiche wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass Parodontitis einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arteriosklerose oder  Schlaganfälle darstellt. Es ist günstig, wenn der Parodontalzustand vor Herzoperationen, dem Einsetzen künstlicher Gelenke oder
einer Chemotherapie keine zusätzlichen Probleme bereiten kann.

Aus dem Mechanismus der Krankheitsentstehung leitet sich das therapeutische Vorgehen ab. Die entzündlichen Veränderungen müssen zurückgeführt und das entgleiste Bakterienspektrum normalisiert werden.

An diesem Punkt kommt die entscheidende Rolle der Mundhygiene ins Spiel. Die individuelle immunologische Disposition, d.h. die Veranlagung zu parodontalen Problemen, muss man wohl als unveränderlich gegeben hinnehmen. Andere Risikofaktoren oder begünstigende Einflüsse wie z.B. Rauchen oder Stress sind in vielen Fällen nur bedingt zu beeinflussen. Also ist die bakterielle Besiedlung der primäre therapeutische Ansatzpunkt. Hier kann man gut therapeutisch eingreifen, aber ohne beständiges Entgegenhalten kommen die Problembakterien und damit auch die entzündlichen Veränderungen immer wieder.

Einzelne, isolierte Maßnahmen haben also, auch wenn sie spektakulär sein sollten,  keine so gute Erfolgsausicht wie ein strukturiertes, langfristig angelegtes Therapieschema zur Behandlung der chronischen Erkrankung Parodontitis.